Rainer Bayreuther (Halle-Wittenberg): Warum die astronomische Harmonie musikalisch und die musikalische Harmonie geometrisch ist

22. Juni 2009, 21:00 Uhr

Reihe: Kepler-Ringvorlesung

Zeit: 22. Juni 2009, 21:00 Uhr
Veranstaltungsort: Stadtbücherei Stuttgart
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PD Dr. Rainer Bayreuther lehrt und forscht am Institut für Musikwissenschaft der Martin Luther-Universität Halle-Wittenberg. 

Die Erkennntis aus Keplers Astronomia nova (1609), dass die Planeten sich nicht auf kreisförmigen, sondern elliptischen Bahnen um die Sonne bewegen, war für die musikalische Theorie ein Schock. Im Platonismus und vor allem im Humanismus der Renaissance herrschte die Überzeugung, dass den musikalischen Konsonanzen und der Maschinerie der Himmelskörper ein und dieselben harmonischen Prinzipien zugrunde liegen.

Anhaltspunkt dafür waren die Radien der Planetenkreise und die Längenverhältnisse der musikalischen Intervalle, die verblüffend ähnliche Zahlenverhältnisse aufweisen. Mit den Ellipsenbahnen war diese Übereinstimmung dahin. Der Platoniker Kepler wollte eine solche Ernüchterung aber nicht hinnehmen. Er entwickelte in der Harmonice mundi (1619) ein völlig neues Verfahren, zu bestimmen, was eigentlich musikalische Harmonie ist. Bisher verstand man musikalische Harmonie als Verhältnisse ganzer Zahlen. Musik war eine Sache der rationalen Zahlen.

Kepler nun fasste musikalische Harmonie analog zu Verhältnissen von Größen in geometrischen Figuren auf. Musik wurde damit zu einer Sache der reellen Zahlen – eine Blasphemie! Mit dieser Methode wollte Kepler einem weiteren musikalischen Problem begegnen, das sich mit den Erkenntnissen der Astronomia nova ergeben hatte. Vom Planet Erde aus gesehen zeichnen sich die Bahnen der anderen Planeten weder als schöne Kreise noch als regelmäßige Ellipsen in den Himmel, sondern verzerrt als Parabeln – und zwar von jedem Standpunkt der Bobachtung aus andere. Ist es womöglich in der Musik genauso? Hört jeder Mensch die Harmonien anders oder gar andere Harmonien? Auch darauf gibt Keplers geometrische Auffassung der musikalischen Harmonie eine Antwort. Anders als den drei Keplerschen Planetengesetzen war seiner Musiktheorie kein langes Leben beschert. Keine zehn Jahre nach Keplers Tod wurde eine akustische Entdeckung gemacht, die seine genialische Musiktheorie hinfällig werden ließ.

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